Über die Reaktion von Sebastian Vettel nach dem Reifenplatzer beim großen Preis von Belgien vor einer Woche lässt sich streiten. Nicht jedoch darüber, dass es in Italien keine Reifenschäden geben darf. Nach wie vor ist Monza der Highspeed-Tempel der Formel 1, die schnellste Strecke im Rennkalender. Entsprechend nervös sind die Beteiligten vor dem kommenden Rennwochenende.

Noch immer gibt es von Pirelli keine Antwort darauf, warum sich der Reifen am Ferrari von Sebastian Vettel zwei Runden vor Rennende aufgelöst hat. Die erste Erklärung seitens des italienischen Reifenherstellers war schlichtweg, der Pneus sei zu alt gewesen. 27 Runden hatten die Mediums zum Zeitpunkt des Schadens auf dem Buckel.

Doch gegen diese These spricht, dass Vettels Rundenzeiten zuvor nicht eingebrochen sind. Seine letzte Runde vor dem Reifenplatzer war nur acht Zehntelsekunden langsamer als die schnellste Rundenzeit in diesem Stint. Wenn zu wenig Gummi auf den Pneus ist, sinken die Rundenzeiten dramatisch ab. So dramatisch, dass der Pilot freiwillig einen weiteren Boxenstopp macht.

Da die Rundenzeiten aber stabil blieben, ist also nicht von einem abnutzungsbedingten Schaden auszugehen. Was nicht heißt, dass das Alter der Pneus keine Rolle dabei gespielt hat: Bei strukturellen Problemen können viele kleine Beschädigungen irgendwann einen großen Schaden zur Folge haben.

Reifenstruktur nimmt Schaden

Wie bei einem gezwirnten Seil: Wird einmal zu stark daran gezogen, muss nicht gleich das ganze Seil reißen. Zuerst reißt ein einzelnes Garn. Je öfter eine Überbelastung vorliegt, umso mehr Einzelfäden reißen. Irgendwann gibt das komplette Seil nach.

Auch Rosbergs Reifenschaden ist nicht ganz aufgeklärt, Foto: Sutton
Auch Rosbergs Reifenschaden ist nicht ganz aufgeklärt, Foto: Sutton

Ähnliches könnte auch bei den Reifen passiert sein: Die Struktur wurde mehrfach überbelastet. Nach und nach nahm sie dadurch Schaden. Viele kleine Schäden führten am Ende zum Kollaps des ganzen Reifens. Pirelli will dieses Szenario bislang aber nicht bestätigen. Die Analysen der Italiener dauern noch an.

Auch Rosbergs Reifenschaden am Freitag in Belgien konnte noch nicht aufgeklärt werden. Pirelli will zwar einen strukturellen Schaden ausschließen und geht von einem von äußeren Einflüssen verursachten Schaden aus, doch selbst Mercedes scheint sich nicht darauf verlassen zu haben. Um auf Nummer Sicher zu gehen, stellte Mercedes die Spur an der Hinterachse konservativer ein und zog sogar noch einen dritten Stopp in Erwägung. Vertrauen in die Reifen sieht anders aus.

Keine Reifenprobleme in Monza?

Demnach stellt sich nun die Frage, ob und wie vor dem Wochenende in Italien reagiert werden muss. Wie in Spa kommen auch in Monza die Mischungen Medium und Soft zum Einsatz. Die Geschwindigkeiten sind noch höher, ein Defekt könnte verheerende Folgen haben.

Die Angst vor Highspeed-Unfällen ist groß, Foto: Sutton
Die Angst vor Highspeed-Unfällen ist groß, Foto: Sutton

Doch Experten gehen nicht davon aus, dass die Probleme auch in Monza auftreten werden. Die lateralen Kräfte sind dort deutlich geringer, außerdem fällt die Kompression weg. Eau Rouge ist nicht nur wegen der hohen Kurvengeschwindigkeit so belastend für die Reifen, sondern vor allem wegen der Kompression.

Trotzdem will niemand das Risiko eingehen, in Italien auch nur einen einzigen Reifenschaden zu sehen. Vor allem Pirelli arbeitet hinter den Kulissen eng mit der FIA zusammen, um kurzfristig Änderungen durchzuboxen.

Nach Informationen von Motorsport-Magazin.com sollen die bereits ausgewählten Reifenmischungen aber zum Einsatz kommen. Eine konservativere Wahl würde insofern auch wenig Sinn machen, weil bei Vettel der Medium-Reifen kaputt ging, nicht der Soft.

Pirelli will Rundenlimit für Reifen einführen

Deshalb versucht Pirelli alles, um noch vor dem Italien-Wochenenden eine Rundenbegrenzung durchzuboxen. Das wollten die Italiener schon nach der schwierigen Saison 2013. Auf dem Prime sollten maximal 50 Prozent der Renndistanz zurückgelegt werden dürfen, auf dem Option höchstens 30 Prozent. Der Vorschlag wurde allerdings abgelehnt.

Kommt eine ähnliche Regel für Monza, wären Teams, die gut mit den Reifen umgehen, klar im Nachteil - vor allem Ferrari. Der Italien GP ist ein klassisches Einstopp-Rennen. In den letzten neun Jahren gab es dort im Schnitt 28 Stopps pro Grand Prix. Das ist etwas mehr als ein Stopp pro Fahrer. Vettel fuhr 2010 sogar 52 von 53 Runden auf einem Satz Reifen.

Jahr Anzahl Boxenstopps
2014 23
2013 24
2012 30
2011 35
2010 23
2009 22
2008 34
2007 29
2006 31

Werden die Stints begrenzt, gibt es zwei Pflichtboxenstopps, weil beide Reifenmischungen mindestens einmal zum Einsatz kommen müssen. Einige Teams werden sich also gegen eine Einschränkung bei der Strategie weiterhin wehren.

Aktuell gibt es Grenzwerte für Sturz, Luftdruck und Temperatur. Auch diese Werte könnten so angepasst werden, damit die Reifen weniger belastet werden. Diese Änderung würde wohl auf weniger Gegenwind stoßen, da es ohnehin bereits Grenzen gibt, die auch genauestens von der FIA auf Einhaltung überprüft werden.